Ansprache zum Jahrestag des Kriegsbeginns, Stadtkirche am Fronhof
Liebe Friedenssucher und Friedenssucherinnen!
Der Krieg in der Ukraine geht ins zweite Jahr. Vor einem Jahr geschah das, was wir alle nicht wirklich für möglich gehalten hatten, der Überfall Russlands auf die Ukraine. Wir hatten das Gefühl, in einer anderen Welt aufzuwachen. Große Worte wie „Zeitenwende“ und „Epochenbruch“ machten die Runde.
Und seitdem sind so viele Opfer zu beklagen und zu betrauern, Gefallene, Kämpfende, Flüchtende, obdachlos Gewordene, Verwaiste, Verzweifelte. Seitdem haben so viele geholfen und versucht zu helfen, hier den Geflüchteten, dort den Kämpfenden und den Ausgebombten. Seitdem hat sich auch für uns hier so viel verändert, Angst und Not schlichen sich auch bei uns ein durch die Energiekrise und die Sorge vor einer Eskalation des Krieges, Trauer um die Toten und Mitleid mit den Verzweifelten.
Wir sind verunsichert wie schon lange nicht mehr.
Wir wissen nicht, ob Gott in diesem Krieg irgendwie am Werk ist.
Aber wir hoffen, dass Gott uns alle noch in seiner Hand hält. Darum sind wir hier, darum hören wir nicht auf, für den Frieden zu beten.
„Ich will hören, was Gott dazu zu sagen hat. Der Herr redet vom kommenden Frieden.“
Ich finde es schwer, klar zu sehen. Was ich weiss und höre über diesen Krieg, bleibt zweideutig. Die Berichterstattung wirkt gehetzt und polarisierend. Mir fehlen die Zwischentöne und ich habe den Eindruck, nicht die ganze Realität wahrzunehmen.
Meine Kirche, die Evangelische Kirche im Rheinland, hat auf ihrer Synode im Januar auch über die Zwischentöne geredet und versucht, Stellung zu nehmen. Ich zitiere drei Abschnitte aus dem synodalen Friedenswort:
„Wir verurteilen die Kriegsverbrechen Russlands, insbesondere die, die sich gegen die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur in der Ukraine wenden und in ungeheurem Maße Terror und Leid verursachen. Wir sind in unseren Gedanken und Gebeten und ebenso in unserem Handeln bei allen Opfern dieser Aggression. Wir sehen auch den Mut der Menschen in Russland, die unter Gefahr für Leib und Leben Widerstand gegen diesen Krieg leisten. Wir beklagen den Tod so vieler Menschen. Wir fordern, dass die Verantwortlichen für den Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden.
(…)
Wir verurteilen die fortgesetzte Instrumentalisierung und den Missbrauch der Religion durch das Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche als Gotteslästerung und lehnen jede Form einer theologischen Rechtfertigung dieses Angriffskrieges ab.
(…)
Wir erkennen die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die unmittelbar dem Schutz von Wohngebieten und ziviler Infrastruktur dienen. So unstrittig diese konkrete Solidarität mit den Opfern in diesem Krieg ist, so kontrovers diskutieren wir auch in unserer Kirche darüber, welche Mittel zur Unterstützung der Ukraine geeignet und ethisch zu rechtfertigen sind. Wir tun das in dem Bewusstsein, dass jede Entscheidung zur Befürwortung oder Ablehnung von Waffenlieferungen in die Übernahme von Schuld führt und auf Vergebung angewiesen ist.“
„Ich will hören, was Gott dazu zu sagen hat. Der Herr redet vom kommenden Frieden.“
Auch wir, so meine ich, dürfen nicht aufhören, vom kommenden Frieden zu reden und dafür zu beten. Solange der Krieg weitergeht, geht das Morden, Sterben und Leiden weiter. Und niemand bleibt unschuldig. Nicht die, die helfen. Nicht die, die kämpfen. Nicht die, die politische Entscheidungen treffen. Was immer getan wird, nichts ist darum ganz und gar richtig oder angemessen. Ich sehe Bilder in den Medien, die mit Lust rollende Panzer zeigen. Und ein Gefühl der Stärke verbreiten, zugunsten der Ukraine. Aber Panzer und Waffen beenden keinen Krieg.
Es ist aber nötig, davon zu reden und alles dafür zu tun, dass der Krieg ein Ende findet und ein tragfähiger Friede geschlossen werden kann. Es liegt nicht auf der Hand, wie das zu erreichen ist, das weiß ich. Gerade darum liegt aber auf der Hand, dass das Reden und Verhandeln und Lösungen suchen nicht aufhören darf, dringend wieder anfangen sollte und mit Macht vorangetrieben werden muss.
Wir dürfen nicht aufhören, vom kommenden Frieden zu reden und dafür zu beten!
Wir dürfen nicht aufhören, darauf zu hoffen und dafür zu beten, dass Gerechtigkeit und Frieden sich wieder küssen!
Beten heißt, hören zu wollen, was Gott dazu zu sagen hat. Beten hält den Glauben daran lebendig, dass Frieden möglich ist und das Gott Frieden schaffen will: er spricht vom kommenden Frieden!