Predigt für die Stadtkirche / 1. Korinther 13
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für heute sind die Sätze aus der Bibel, die das „Hohelied der Liebe“ genannt werden. Das „Hohelied“ – das heißt so ungefähr: das Lied der Lieder, das allerschönste oder allerwichtigste Lied. Wir haben es also mit dem großartigsten Lied über die Liebe überhaupt zu tun. Ich weiß nicht, ob das Lied einmal eine Melodie hatte – uns sind nur die Worte erhalten. Ich lese sie vor, und vielleicht kennen Sie die eine oder andere Strophe:
„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir´s nichts nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, die sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
So geht es, das allerschönste Lied über die Liebe. Ich weiß nicht, ob es es in unseren Charts auf die ersten Plätze schaffen würde. Es ist dafür zu wenig eingängig, zu kompliziert und zu wenig rosarot. Einzelne Verse aber bleiben hängen: Hätte ich die Liebe nicht, so wäre ich nichts – die Liebe hört niemals auf – Glaube, Hoffnung, Liebe und die Liebe ist die größte unter ihnen.
Diese Verse bleiben hängen und passen ins Poesiealbum und auf eine Karte zum Valentinstag.
Ich finde, da gehören sie auch hin – und möchte das „auch“ betonen:
Einmal: da gehören sie auch hin – im Sinne von: es ist richtig, dass sie da auftauchen, diese Worte aus der großen Bibel, in unseren Liebesgeschichten und Freundschaften, es ist richtig, dass die biblischen Worte da auftauchen, in unseren menschlichen Liebesgeschichten, als Versprechen, als Hoffnung, als Ideal: Die Liebe hört niemals auf. Sie ist die Größte, das Wichtigste. Und alles, was ich tue, ist nichts, wenn es ohne Liebe geschieht. Das sind keine Sätze, die „für gut“ weggeschlossen und nur an Feiertagen mühsam buchstabiert werden, das sind Sätze, die alltags gebraucht und gelesen und auswendig gewusst werden sollen, die machen sollen, dass das alltägliche Leben voller Liebe ist oder mindestens, dass die Liebe, wenn sie da, im Alltag, fehlt, gründlich vermisst wird.
Egal, was ich tue, wenn die Liebe fehlt, ist es nichts. Die Liebe hört niemals auf. Die Liebe ist das Größte! Diese Sätze gehören in unsere Lieben, zwischen Liebespaare, Freundinnen und Freunde, in Familien und in Gemeinden. Und eben auch auf Glückwunschkarten und in Poesiealben.
Das ist der eine Sinn von „da gehören sie auch hin“: sie gehören mitten in den menschlichen Alltag.
Und nun der zweite Sinn: da gehören sie auch hin – aber sie gehören eben auch noch woanders hin, in eine besondere Geschichte, eine besondere Liebesgeschichte, in eine besondere Liebe, nämlich die Liebe Gottes zu den Menschen. Quer durch die ganze Bibel geht diese Liebesgeschichte, und es gilt auch hier: Die Liebe hört niemals auf, Gottes Liebe zu uns hört niemals auf. Und was immer Gott tut und sagt, immer spielt da die Liebe mit, ist spürbar, klingt durch. Und ja, sie ist das größte neben allem anderen, auch neben Glauben und Hoffen. Und darum gehört dieses Liebeslied und die Verse, die wir uns merken können, in die Kirchen, in unsere Gebete, in unsere Gottesdienste. Genau wie in unseren Alltag. Alles, was mit Liebe zu tun hat, gehört überall hin.
Das schönste Lied über die Liebe. Gehört überall hin. Und es lohnt sich, die ganzen Strophen zu lesen oder zu hören.
Hören wir noch mal hin!
Strophe eins, da geht es darum, dass alles nichts ist, wenn die Liebe fehlt. „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir´s nichts nütze.“
Warum wäre alles nichts ohne die Liebe? Der erste Satz verrät es: weil die Botschaft nicht ankommt, wenn die Liebe fehlt, und darum nichts bewirkt. Wo die Liebe fehlt, gibt es nur Misstöne.
Die zweite Strophe erzählt, wie die Liebe ist:
„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, die sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“
Ich glaube, wir würden das etwas anders formulieren. So viel lässt die Liebe sich gefallen! Wird sie denn niemals wütend? Nein, in diesem Lied nicht. Bei uns schon. Klar.
Aber besungen wird das Ideal, diese Liebe, die nie die Nerven verliert und nicht an sich selber denkt. Aber zwei Sätze stechen heraus: „Sie freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sich freut sich aber an der Wahrheit“. Blind ist die Liebe also nicht. Anders als im Sprichwort. Was immer sie mitzumachen bereit ist, sie unterscheidet Wahrheit und Ungerechtigkeit. Das ist wichtig. Denn die Liebe sagt nicht: Schwamm drüber.
Und die dritte Strophe? Die beginnt einfach und endet kompliziert:
„Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“
Wie gesagt, der Anfang ist einfach: Die Liebe hört niemals auf. Und dann kommt, was aufhört, und ziemlich lange geht es um „Stückwerk“ und „Kindliches“ und ein „verschwommenes Bild“. Alles will sagen: wir wissen, sehen und erkennen nicht alles. Da fehlen ein paar Puzzleteile zum kompletten Bild. Wahrscheinlich sogar ein paar entscheidende Teile. Also: Wir verstehen die Welt nicht ganz! Das können wir gar nicht oft genug wiederholen: Wir verstehen die Welt nicht ganz. Auf ziemlich viele Dinge können wir uns keinen Reim machen. Und wenn wir es versuchen, wird das ganze Bild schief.
Mir fällt eine Menge ein, wo ich sogar hoffe, dass meine Sicht nur Stückwerk ist: Warum dieses Erdbeben in Syrien und der Türkei geschehen konnte. Warum es diesen Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt und warum er nicht endlich aufhört. Warum es Corona gibt. Warum Menschen leiden und plötzlich krank werden und sterben vor ihrer Zeit. Eigentlich hoffe ich bei allen „Warum“-Fragen, dass mein Wissen nur Stückwerk ist und dass da irgendwann mehr zu erkennen ist. Nicht, dass dann alles Sinn macht. Aber dass klar wird, dass die Liebe wirklich nicht aufhört und alle erreicht, auch die Toten, auch die Traumatisierten, auch die Verbitterten.
Ich denke, darum stehen diese Sätze über unser unvollkommenes Erkennen in einem Lied über die Liebe. Weil wir, wenn wir das, was wir sehen, für das Ganze hielten, wahrscheinlich an der Liebe irre würden. Noch einmal: Weil wir, wenn wir das, was wir sehen, für das Ganze hielten, wahrscheinlich an der Liebe irre würden.
Darum gehören die Gedanken über unser begrenztes Wissen und Erkennen, darum gehört diese komplizierte dritte Strophe in dieses Lied.
Und dann kommt der Schluss: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Der macht es noch mal ganz deutlich: Auf die Liebe kommt es an! Auch auf Glaube an Gott und Hoffnung auf Gott, aber die Liebe, die zwischen Gott und der Welt und den Menschen, und die zwischen den Menschen und zur Schöpfung, die Alltags- und die Sonntagsliebe, die ist die Größte, die ist das Größte!
So ist das mit diesem allerwichtigsten Liebeslied, diesem „Hohelied“ der Liebe. Es will, dass wir lieben, und dass wir der Liebe trauen. Es will, dass wir an der Liebe festhalten. Dass wir uns an der Liebe festhalten.
Darum passt dieses Lied wunderbar in die Woche nach dem Valentinstag. Es passt auch in die Karnevalszeit. Und es nimmt die Passionszeit vorweg, weil alles, was da mit und durch Jesus geschieht, aus Liebe geschieht. Für uns.
Denn so geht das, das Lieben: das, was man tut, für andere zu tun. Die, die wir lieben. Und auch die, die wir nicht so doll lieben. Denn die Liebe, die große Liebe, gilt auch ihnen. Und was heißt es, etwas für andere zu tun? Es heißt, zuerst zu überlegen, was der oder die Andere möchte, oder braucht, oder will. Und ihm oder ihr dann im eigenen Tun entgegen zu kommen.
Das ist Liebe. Entgegenkommen. So, wie Gott nicht aufhört, uns entgegenzukommen. Auch, wenn wir es nicht verstehen und nicht begreifen können. Auch dann noch, wenn wir es uns nicht mehr vorstellen können vor lauter Leid und Unglück und Ungerechtigkeit. Auch durch all das kommt Gottes Liebe auf uns zu, uns entgegen.
Diese Liebe hört niemals auf!