Liebe Gemeinde!
Zusammenhalten. Sich regelmäßig treffen, Gemeinschaft haben, gemeinsam essen und beten. Das alles in aufrichtiger Herzlichkeit.
So beschreibt die Bibel die erste Gemeinde, wir haben es gerade gehört. So haben sie gelebt, und so wurden sie immer mehr, und so waren sie beliebt beim Volk.
Ich lese das tausende von Jahren später mit Sehnsucht im Herzen. Weil es so schön und einfach klingt. So geschwisterlich und ehrlich und so selbstverständlich, so frei, so ohne Zwang und Bürokratie.
Wie anders und wie ähnlich ist unsere Kirche heute. Wie ähnlich und wie anders.
Wie ähnlich hier bei KIRCHEnMORGEN und in vielen Gruppen und Gottesdiensten und Vier-Augen-Gesprächen und im Religionsunterricht: Zusammenhalten. Gemeinschaft haben. Gemeinsam essen und beten, lachen und weinen. Attraktiv sein für andere. Wie ähnlich vor fünf Wochen an den Tagen nach dem Terroranschlag auf unser Festival der Vielfalt: Die Türen geöffnet. Zusammenkommen, miteinander reden und schweigen, Gemeinschaft spüren, weinen, klagen, beten, Trost finden. In aufrichtiger Herzlichkeit und so ähnlich wie in den Anfängen. Und eine Gesellschaft, die uns braucht: Bitte, bietet ihr Kirchen den Raum für Miteinander und Begegnung!
So ähnlich. Und so anders.
Kirchen, in die kaum jemand mehr kommt, verlorene Aufrichtigkeit und stattdessen eine Geschichte von Machtmissbrauch, Übergriffen und verknöcherten, abgelebten Strukturen. Verzagtheit bei den Kirchenmenschen in einer Gesellschaft, die sich abwendet. Und aus der uns in den Wochen nach dem Terroranschlag auch Vorwürfe treffen: wir würden mit Andersdenkenden ja eh nicht reden und seien durch unsere Naivität oder Dummheit Mitschuld an dem Terror.
So anders und so ähnlich wie damals.
Denn auch damals waren da, wenn wir weiterlesen in der Bibel, eben auch Brüche und Risse und Belastungen, die die Gemeinden quälten und manchmal zerbrechen ließen. Und heute brechen uns die Ressourcen weg und begreifen wir, dass unsere Kirche nicht bleiben wird, wie sie ist, und dass sie anders werden muss, demütiger, kleiner, aufrichtiger. Und wir wissen, dass wir das aus unserer Kraft nicht machen können, dass nur ein Teil in unserer Macht liegt und dass wir nicht einmal genau erkannt haben, welcher, und dass wir trotzdem anfangen müssen und das hier bei uns auch getan haben und dass wir unsere Kirche in Solingen umbauen und für einen KIRCHEnMORGEN arbeiten und beten.
Wir folgen dabei den biblischen Berichten über die erste Gemeinde rückwärts: Was war, bevor sie so wurde, größer werdend und beliebt und in der Lage, Konflikte auszuhalten? Was machte sie stark, was kann uns heute stark machen, realistisch und resilient und klarsichtig und voller Hoffnung und Zuversicht?
Ich folge der biblischen Spur zurück: die Schilderung des ersten Gemeindelebens folgt auf eine Predigt, die Petrus hält. An Pfingsten, am ersten Pfingsten überhaupt. Er redet davon, wie Gottes Geist jetzt über sie kommt und wie er sie erfüllt mit der Hoffnung auf Rettung und ewiges Leben und wie die Auferstehung Jesu der Keim dieser Hoffnung ist, denn er hat gesagt, dass wir zu ihm gehören und bei ihm sein werden für immer. Petrus sagt, dass Gott uns durch Jesus liebt und rettet und niemals verloren gehen lässt.
Petrus sagt das. Voller Geistesgegenwart. Der Petrus, der von Jesus den Auftrag bekam, sich um die Schar der Jünger und Jüngerinnen zu kümmern, aber auch der Petrus, der Jesus in der Nacht, als er verraten und gefangengenommen wurde, dreimal verleugnet hat: Nein, den kenne ich nicht!
Der Petrus, der damals im Sturm auf dem See Genezareth Jesus so sehr vertraute, dass er aus dem Boot stieg und auf dem Wasser auf Jesus zuging. Aus dem Boot auf das Wasser! Und der nicht unterging, solange er auf Jesus achtete, und der versank, sobald ihm Wind und Wellen und Sturm wieder bewusst wurden.
Dieser Petrus. Der, als Jesus von vielen verlassen wurde und er ihn und ein paar andere fragte: Wollt ihr auch gehen? sagte: Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens!
Dieser Petrus. Mit seiner Kraft und seiner Schwäche. Mit seinem Mut und seiner Wankelmütigkeit. Ganz menschlich. Und manchmal voll des Heiligen Geistes und wahnsinnig gut. Ein Gottvertrauer und der Prototyp eines Kirchenmenschen, bis heute.
Seine Geschichte kann uns stark machen für unsere. Für unsere Zeit und das, wozu wir heute gebraucht werden. Für unsere werdende Klingenkirche und das, was sie für die Stadt bedeuten kann. Für das, was gelingt, und für das, was schief geht.
Und dafür, worauf es ankommt auch im Sturm. Sich aus dem Boot aufs Wasser trauen. Würde keine Seglerin machen, klar. Müssen aber alle Christenmenschen heute wagen!
Aus dem Boot auf das Wasser!
Denn das alte Kirchenschiff geht unter. Und darum müssen wir tun, was unseren Reflexen und Bedürfnissen widerspricht: Aus dem Boot aufs Wasser. Nicht festhalten und mit untergehen. Mut fassen, aufs Wasser gehen und nach Jesu Hand greifen und sich von ihm an Land bringen lassen. Und sich da schütteln, eine Jacke anziehen, sich am Feuer wärmen und mit ein paar Broten und Fischen neu beginnen.
(Der Gesprächsteil der Predigt kann hier nicht rekonstruiert werden)
Ich habe eben gesagt, das alte Kirchenschiff sinkt. Eher der alte Kirchendampfer. Das sagt sich leicht – und trotzdem haben wir Jahrzehnte gebraucht, es auszusprechen und anzuerkennen. Und auch, wenn wir es jetzt laut sagen, sind wir ja noch nicht durch die Trauer und die Enttäuschung und den Kummer, den Verlust, die sich damit verbinden. Das wird uns noch beschäftigen. Das steht uns auch noch bevor.
Aus dem Boot aufs Wasser. Es bleibt ein Wagnis und eine Frage des Gottvertrauens. Petrus geht unter, immer wenn ihm Sturm und Wellen bewusst werden. Aber er versinkt nicht ganz. Wir werden auch nicht ganz versinken. Er wird gehalten. Wir auch. Er wird berufen und gesandt, sich um die Gemeinde zu kümmern. Wir auch.
Und er wird mit Geistesgegenwart beschenkt. Wir auch.
Mit unserer Kraft und Schwäche, mit unserem Mut und unserer Wankelmütigkeit bauen wir die Klingenkirche. Ganz menschlich. Und manchmal voll des heiligen Geistes und wahnsinnig gut. Als Gottvertrauende und Prototypen der Kirchenmenschen von heute und morgen. Für dann, wenn die Klingenkirche ihren vollen Klang gefunden hat und ein guter Resonanzraum ist für den Glauben daran, dass Gott uns liebt und rettet und niemals verloren gehen lässt; auch nicht, wenn wir sterben.
Ob wir dann eine große oder kleine Kirche sind, ist nicht so wichtig. Wir sind dann eine Kirche, die weiß, wozu sie da ist.
(Die Mitmachaktion nach der Predigt kann hier nicht rekonstruiert werden)