Predigt zu Psalm 147,3 – Evangelische Kirchengemeinde Wald, Sommer 2022
„Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden!“
Liebe Gemeinde,
Gott heilt, Gott macht gesund und macht ganz, und lässt Wunden zuwachsen und vernarben. Gott heilt. Wenn wir zerbrochen, geschlagen und verletzt sind, macht Gott heil.
Heilmachen gehört zum Gottsein genauso wie machen, heilen ist Gottes Sache so wie erschaffen Gottes Sache ist. Ich bin der Herr, dein Arzt, so heißt es im zweiten Buch Mose.
Gott heilt.
Gott ist der Heiland, Jesus wurde so genannt, und der heilte und machte gesund, wo er auf Kranke und Aussätzige traf. „Willst du gesund werden?“ sagte er dann, oder „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ und wenn die Menschen es wollten, heilte er sie. Machte sie gesund, schuf sie noch einmal, dass sie sich erholten und ganz wurden. „Recreation“, so nennen wir Erholungszeiten manchmal, und da ist es im Wortsinn: Wieder-Erschaffung, das ist Heilung.
Gott heilt.
Gott versöhnt, auch das gehört zum Heilen, versöhnt die Menschen mit sich und in sich, dass sie in sich Frieden finden – meinen Frieden gebe ich euch, sagt Gott.
Gott heilt.
Ich will euch heil machen, sagt Gott, euch, die ihr zerbrochene Herzen habt und verwundet seid.
Zerbrochene Herzen. Denken Sie, wie ich, zuerst an Liebeskummer und dann an Trauer, weil ein geliebter Mensch fort oder gestorben ist? In unserer Sprache meint ein zerbrochenes Herz, dass Vertrauen enttäuscht wurde oder der Tod eine Beziehung unwiederbringlich beendet.
Aber die Sprache der Bibel meint etwas anderes, wenn sie „Herz“ sagt. Sie meint nicht den Sitz der Gefühle, sondern den Sitz des Verstandes. Herz ist der Bibel Verstand, Herzlosigkeit Dummheit.
Ein zerbrochenes Herz zeigt, dass der Mensch an etwas irre geworden ist, dass er in seiner Meinung, seinem Urteil hin- und hergerissen ist, dass die Dinge keinen Sinn mehr ergeben und sie sich keinen Reim machen kann auf das, was geschieht.
Das zerbrochene Herz steht nicht so sehr für enttäuschte Gefühle, sondern für enttäuschtes Verstehen.
Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen, widersprüchliche Aspekte fügen sich nicht zusammen, alles ist aus den Fugen. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wir würden sagen: ich zerbreche mir den Kopf; die Bibel sagt: das Herz ist zerbrochen.
Ein zerbrochenes Herz tut weh. Es schmerzt, wenn wir die Welt nicht mehr verstehen.
Ich finde, dieser Gedanke passt gut in diesen Sommer, in diese Zeit. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Und was ich in den Nachrichten sehe oder lese, bricht mir das Herz.
Ich muss, denke ich, gar nicht viele Worte machen, woran ich da denke, die Pandemie, den Krieg, die Inflation, die Ängste, dass sicher Geglaubtes nicht mehr sicher ist und Verunsicherung um sich greift.
Dass wir uns verwundbar und angreifbar fühlen. Dass alles aus den Fugen ist.
Dabei ist es nicht eins dieser Dinge und auch nicht die Summe von allem, es ist nicht die Herausforderung oder die Mühe an sich – es ist eher das Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit, dass man gar nicht weiß, wo anpacken und was tun, die Erfahrung, nicht zu wissen, was dran ist, weil wir nicht verstehen, was da mit uns geschieht.
Einmal sagt die Bibel, wenn wir wörtlich übersetzen: Und ihr Herz wurde zu Wasser – und meint, dass sie den Mut verlieren, vielleicht ist das flüssige Herz ein noch besseres Bild als das zerbrochene Herz. Wir versuchen, zu verstehen, aber unsere Erkenntnisse verflüssigen sich, verflüchtigen sich und werden nicht greifbar.
Unser Verstehen der Welt ist enttäuscht worden, dadurch, dass sich Dinge ereignen, von denen wir zwar wussten, dass sie passieren könnten, von denen wir aber trotzdem dachten, dass sie nie passieren würden. Und jetzt sind sie passiert und unser Weltverstehen zerbricht und die Reime, die wir uns auf die Weltverhältnisse gemacht haben, reimen sich nicht mehr und niemand weiß so recht weiter und hektisch werden Beschlüsse gefasst, Einzelmaßnahmen, die nicht viel bewirken und, versucht man sie zusammen zu sehen, nur zeigen, dass sich kein stimmiges Bild ergibt. Unser Weltverstehen wurde enttäuscht, und unser Herz zerbrach. Unser Verstand geht in die Irre, und jetzt kommen Verstand und Gefühl zusammen, das biblische Verständnis von Herz und unseres, in dem biblischen Verständnis von „Verstand“, das nicht bloß rational ist, sondern umfassend und eher das ist, was wir „Verständnis“ nennen, das verstehende und empathische Begreifen. Unser Weltverständnis ist zerbrochen.
Unser Weltverständnis ist zerbrochen durch den Krieg. Weil er ein Angriffskrieg ist. Weil er so nah ist und auf europäischem Boden. Weil er so lange schon dauert. Weil wir dachten, mit diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen jede Kriegsgefahr gebannt hätten. Weil die Folgen anfangen, uns direkt zu treffen. Weil wir es mit der Angst zu tun bekommen. Vielleicht hätten wir schon bei anderen Kriegen irre werden sollen und begreifen, dass wir nichts begriffen hatten, jedenfalls allzu sorglos waren und tief im Innern davon überzeugt, es könne bei uns immer nur besser werden.
Ja, wir hätten früher irre werden sollen und auf unser Herz hören, dass es nicht immer gut gehen würde mit dem Frieden und dem Wohlstand und dem Klima.
Aber das war nicht so, und jetzt kommt alles auf einmal und wir kriegen die Welt nicht in den Griff und können die Risse nicht überbrücken und die Löcher nicht stopfen.
Und wir fragen: Haben wir denn falsch gedacht mit unserem Engagement für den Frieden? Haben wir es falsch gemacht, als wir auf die offene, liberale, antiautoritäre Demokratie setzten? Haben wir es falsch gemacht, als wir träumten von einer versöhnten Verschiedenheit zwischen Ländern und Nationen?
Unser Weltverständnis ist zerbrochen, und wir können es nicht heilen, wir können diese Fragen nicht beantworten, es bleiben zu viele lose Fäden und widersprüchliche Erkenntnisse und wir bleiben verwirrt.
Und wir rufen zu Gott: Heile unsere zerbrochenen Herzen und verbinde unsere Wunden. Hilf uns, uns wieder zurecht zu finden in der Welt, die wir so zugerichtet haben, und hilf uns, die Orientierung wieder zu finden.
Du, Gott lässt uns wissen: Es ist auch meine Herzenssache, dass ihr heil werdet und dass ihr die Welt wieder versteht. Und der Psalm erzählt von deiner Schaffenskraft, die die Welt noch immer und immer wieder erhält. Der Psalm erzählt, wie dein Gebot auf die Erde gesandt wird, dein Gebot zuerst und dann dein Sohn, unser Heiland, Jesus. Der uns die Versöhnung gebracht hat und deinen Frieden, der uns gelehrt hat, die Welt zu verstehen als den Ort deiner Liebe und deines Rechtes, aber auch als den Ort, an dem beides immer wieder angegriffen und zerstört wird und an dem noch nicht alles zusammenstimmt und heil wird. Und weil das so ist, dass in der Welt nicht alles gut ist und nicht alles zusammenstimmt und es also sein kann, dass man, dass wir an der Welt irre werden, hat Jesus uns eine Hoffnung gelehrt, eine radikale Hoffnung darauf, dass da Gottes Reich, dein Reich im Kommen ist und die Gewissheit verbürgt, dass irgendwann irgendwie durch deine Schöpferkraft alles eins sein wird, was jetzt getrennt ist, was jetzt verwirrt und auseinanderfällt. Diese Hoffnung, diese sichere Hoffnung auf deine unbegrenzte Liebe und deine Fähigkeit, Unmögliches möglich werden lassen, hat Jesus durch den Kreuzestod getragen und will auch uns durch Zeiten der Verwirrung, der Hilflosigkeit und des Leidens tragen. Diese Hoffnung ist die Hoffnung auf Heilung, auf Verstehen und Verständnis und darauf, dass sich die Fragen lösen.
Diese Hoffnung orientiert uns jetzt. Sie tröstet uns, wenn jetzt nicht alles zusammenpasst. Sie beruhigt uns, nein, es war nicht alles falsch, unser Engagement, überhaupt nicht, es war gut und richtig, aber wenn es sich nicht verändert, bleibt es nicht gut und richtig, es muss sich lebendig weiterentwickeln und war nie ein Automatismus und vielleicht auch nie der einzige Weg, aber ein Weg, einer, den wir gut weitergehen können durch diese Hoffnung.
Diese Hoffnung hilft uns, die Enttäuschung über unser zerbrochenes Weltverstehen zu bewältigen und zeigt uns eine Zukunft, in der wir weiterhin Gottes Schaffen am Werk sehen, sein Heilmachen, seine Re-Creatio.
Ja, es schmerzt, dass wir die Welt nicht mehr verstehen. Aber dieser Schmerz öffnet uns dafür, dass wir sie aus uns heraus und aus unserer Perspektive nicht verstehen können. Dass da Gottes Tun und Machen und Heilmachen mitgedacht werden muss, nicht in dem Sinn, dass am Ende alles gut sein wird, aber in dem Sinn, dass nichts und niemand verloren geht und alles gut sein wird, ohne zu Ende zu sein und dass darum noch Leben und Glück und das Abwischen aller Tränen vor uns liegt und eine Zukunft, die wenn´s sein muss auch das Ende der Welt übersteht und die durch den Tod hindurch auf uns wartet.
Es ist diese unmöglich-mögliche Hoffnung, die unsere Herzen heilt und unsere Wunden verbindet und unser Verständnis der Welt tiefer macht, verständiger, empathischer, herzlicher. Es ist diese unmöglich-mögliche Hoffnung, die unsere Herzenssache, die Welt heil zu sehen, mit Gottes Herzenssache, die Welt heil zu machen, zusammenbringt, unauflöslich und tröstlich.
Gott heilt, Gott macht gesund und macht ganz, und lässt Wunden zuwachsen und vernarben. Gott heilt. Wenn wir zerbrochen, geschlagen und verletzt sind, macht Gott heil.
Heilmachen gehört zum Gottsein genauso wie machen, heilen ist Gottes Sache so wie erschaffen Gottes Sache ist. Ich bin der Herr, dein Arzt, so heißt es im zweiten Buch Mose.
Gott heilt. Amen.