(Vortrag zum Jahresempfang des Kirchenkreises Solingen 2021)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Mögen Sie Werkstätten, Hobbykeller, Ateliers, Bastel- und Nähstuben, Bauhütten oder Bibliotheken? Den Duft von Staub und Farbe und Sägespänen; den Kram, der herumliegt; die halbfertigen Sachen; gescribbelte Entwürfe; Bücherstapel und Notizblöcke; Korrekturfahnen; das zufällige Nebeneinander von Materialien, Skizzen und Klebstoff, das so inspirierend sein kann? Mögen Sie das alles oder etwas davon?
Dann sind Sie richtig bei KIRCHEnMORGEN!
Mögen Sie es zu diskutieren, etwas auszuprobieren, Visionen konkret werden zu lassen, Dinge anders zu machen als bisher oder gewöhnlich und unkonventionelle Methoden anzuwenden? Mögen Sie es, für das, was Ihnen wichtig ist, einzutreten und laut und in der Öffentlichkeit Partei zu ergreifen? Machen Sie sich gern stark für andere, lassen Sie sich gern in Bewegung bringen und sind Sie gern dabei, wenn ein Stein ins Rollen kommt oder etwas Großes geschieht?
Auch dann sind Sie richtig bei KIRCHEnMORGEN!
Denn KIRCHEnMORGEN ist eine große Werkstatt und ein Diskussionsforum für die Gestalt der Kirche von morgen in der Gesellschaft und Welt von morgen. Ein geordneter freier Raum. Viel Platz für Ideen und Visionen für eine Kirche von morgen.
Diese große Werkstatt wird Pfingsten 2022 real, hier in Solingen, in elf Werk-Räumen über ganz Solingen verteilt. Zu dieser Werkstatt laden wir ein, Sie, die Sie hier sind, und viele andere aus Kirche und Gesellschaft, Gemeindemenschen, Stadtmenschen, Kirchenskeptiker:innen und Gotteszweifler:innen, Hoffnungsvolle und Neugierige, Christenmenschen und Leute aus anderen Religionen oder ohne religiöse Heimat.
Wir laden so breit ein, weil wir hinhören wollen. Hören, was Menschen von uns erwarten oder bei uns sonderbar finden. Gerade auf die, die es nicht so doll mit Kirche haben, wollen wir zugehen und ihnen zuhören. Weil wir noch einmal neu danach fragen, wie wir heute der Mission Gottes in der Welt und für die Welt gerecht werden, was hier und heute unsere Aufgabe ist. Was wir für und mit unserer Umgebung tun sollen. Darum eine Werkstatt: weil wir die Antworten noch nicht kennen. Weil wir die Lösung nicht schon wissen. Weil wir nicht für ein Ergebnis, das bereits feststeht, werben. In einer Werkstatt soll etwas entstehen, es liegen auch Ideen und Materialien und Werkzeuge da, aber was entsteht, ist offen. Darum ist KIRCHEnMORGEN eine Werkstatt.
Und damit ist KIRCHEnMORGEN typisch Kirche. Denn – wenigstens nach evangelischem Verständnis – ist die Kirche immer im Bau, in Veränderung, an ihr wird immer restauriert, renoviert, gebastelt und gewerkelt. Kirche ist, so sagt die evangelische Theologie fast von Anfang an, „semper reformanda“, immer zu reformieren. Die Werkstatt KIRCHEnMORGEN ist darum gut reformatorisch und genau das, was die Kirche von heute ausmacht.
Ein Wort noch zu dem „wir“, das hinter KIRCHEnMORGEN steckt: Das sind neben dem Kirchenkreis Solingen die Kirchenkreise Lennep und Wuppertal, die meisten landeskirchlichen Einrichtungen der Evangelischen Kirche im Rheinland und Einzelpersonen. Wir wünschen uns und arbeiten daran, dass KIRCHEnMORGEN über Pfingsten 2022 hinausgeht.
Jetzt haben Sie, hoffe ich, einen ersten Eindruck dessen, was KIRCHEnMORGEN ist und will.
Aber ich möchte Ihnen auch erzählen, warum wir gerade das machen und wollen – dazu drei Abschnitte: Ein Weckruf, etwas über immer neue Chancen und die Antwort auf die Frage, warum es Pfingsten sein muss.
I. Weckruf
Der Wecker klingelt, aber ich dreh mich noch mal kurz um und schlafe prompt wieder ein. Alle Welt redet über ein aktuelles Thema, nur ich habe den Anfang der Debatte nicht mitbekommen, und jemand sagt: Du hast den Schuss nicht gehört.
Ja, das gibt es, jemand ist verpennt oder verpeilt. Und manche sagen das nicht ganz zu Unrecht auch von der Kirche.
Dass sie den Schuss nicht gehört hat. Dass sie trotz der hohen Austrittszahlen einfach weiter macht wie bisher. Dass sie gar nicht merkt, wie ihre Kerngemeinde älter wird und plötzlich nicht mehr so um die fünfzig, sondern so um die siebzig ist. Dass sie nicht wahrhaben will, wie vielen sie mittlerweile völlig gleichgültig ist. Dass sie nicht mitkriegt, wie wenig Leute Orgelmusik mögen. Dass in ihr immer noch viele denken, wenn wir nur ein tolles Angebot rüberschieben, kommen auch die jungen Leute zurück. Manche sagen: Die Kirche ist verpennt und verstaubt.
Das ist richtig und doch nicht so einfach.
Richtig ist, dass die Kirche, zumindest die evangelische Kirche – nur über die kann ich hier reden -, sich wirklich schwer tut, ihre veränderte Situation und Rolle in der Gesamtgesellschaft realistisch und ungeschönt wahrzunehmen. Ja, wir neigen dazu, immerzu großzügig aufzurunden – unsere Mitgliedszahlen, unsere Teilnehmendenzahlen, unsere Relevanz und unseren Einfluss. In den letzten Jahren dämmert uns, dass wir damit vor allem uns selbst belasten. Denn so schlecht in Mathe sind selbst die Theolog:innen nicht, dass sie nicht spürten: Wir werden immer weniger. Wir wissen, dass es Kirchenleute gibt, die im Freundeskreis nicht gern zugeben, im Presbyterium zu sein, weil sie dann so mitleidig angeguckt werden.
Nicht so einfach ist, dass es eine Fülle von Aufbrüchen und Initiativen bei uns gibt, die nicht verstaubt und überhaupt nicht verschnarcht sind, die modern und offen daher kommen, und witzig und selbstironisch. Das gibt es, und nicht zu knapp, aber es prägt nicht das öffentliche Bild von Kirche. Dieses Bild stammt noch aus alten Zeiten und ist ungeheuer langlebig und beharrlich. Sie erkennen es, wenn jemand um die vierzig sagt: Im Konfirmandenunterricht haben wir nur die Bibel gelesen. Oder wenn es heißt: In der Kirche darf man nicht lachen, und alle haben einen Anzug an. So ist es schon lange nicht mehr.
Darum sage ich: Aufgewacht und aufgeweckt ist die Kirche schon. Sie sollte aber genauer und realistischer wahrnehmen, wie sie in der Welt dasteht. Sich den Spiegel vorhalten lassen. Sich sagen lassen, was von ihr erwartet wird. Und sie könnte lauter von dem reden und das zeigen, was sich längst geändert hat. Die Leute wieder neugierig machen auf das, was drin ist, wenn Kirche draufsteht. Dafür ist KIRCHEnMORGEN da.
Was aber wichtiger ist zu fragen: Welchen „Schuss“ muss die Kirche eigentlich gehört haben? Den der Moden, Trends und Zeitgeister? Oder gibt es da nicht einen viel wichtigeren „Schuss“ oder Weckruf, einen ganz entscheidenden, ohne den es die Kirche gar nicht gäbe: Den Ruf, mit dem Gott den ermordeten Jesus von Nazareth aus dem Grab zurück ins Leben rief. Den Ruf, der die Bedeutung des Aufgeweckt-Seins verändert und die Erwartung des Auferweckt-Werdens damit verbindet.
Das ist der Schuss, den wir gehört haben müssten, der Weckruf, der uns noch heute wach macht, der Knall, der die Welt verändert hat und macht, dass wir sie anders sehen und in ihr anders handeln.
Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. Und er wird auch uns auferwecken, um seinetwillen. Darum sind wir wach, aufgeweckt.
Es kommt darauf an, das ins rechte Verhältnis zu setzen: den Weckruf, der mit der Botschaft von der Auferweckung verbunden ist und auch nach vielen, vielen Jahrhunderten noch wach macht, und die Wecker und Weckrufe unserer Zeit, die nach einer Kirche von und für heute rufen.
Will sagen: Den Kern unseres Kirche-Seins, diese Botschaft von der Auferweckung Jesu, an der unsere Hoffnung hängt, den dürfen und können wir nicht anpassen an die Moden der Zeit, so unwahrscheinlich, so unbeweisbar, so töricht er uns auch vorkommt. Für diesen Kern müssen wir Worte suchen, die heute das Wunderbare dieser Hoffnung ausdrücken. Das ist um so schwerer, als wir Kirchenleute und Christenmenschen nicht nur die anderen, sondern auch uns selbst immer wieder in den Glauben locken müssen; wir sind ja nicht doof oder ungebildet, wir sind auch Wissenschaftlerinnen und Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts. Aber diesen Kern aufgeben, das geht nicht, dann geben wir unsere Hoffnung preis und hören auf, Kirche zu sein. Und wenn wir aufhören, Kirche zu sein, fehlt der ganzen Welt etwas, nämlich die Erzählung von diesem alles entscheidenden Weckruf. Unser Auftrag ist es, als Aufgeweckte und aufrüttelnd von der Hoffnung über den Tod hinaus überall zu erzählen, und was es bedeutet, so eine Hoffnung zu haben.
II. Chancen
Morgen ist auch noch ein Tag! Gehören Sie zu denen, die gern schon mal etwas verschieben? Die „prokrastinieren“, so heißt das neudeutsch? Oder gehören Sie zu denen, die Aufgaben erst mal bebrüten müssen, bevor sie sie anpacken? „Morgen ist auch noch ein Tag“ sagt man dann mit einer Gewissheit, die, wenn man sich den Satz mal langsam anhört und genau anguckt, wunderbar und höchst besonders ist. So leben zu dürfen, dass man dessen gewiss sein kann: Morgen ist auch noch ein Tag. Gott hat nach der großen Flut versprochen, dass das nicht aufhört, solange die Erde sich dreht: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Da hat das seinen Grund, dass wir sagen können: Morgen ist auch noch ein Tag!
Das bedeutet: Wir können immer wieder neu anfangen, weil Gott es immer wieder neu Morgen werden lässt. Wir Menschen bekommen neue Chancen, laufend. Weil Gott Realistin ist und weiß, dass wir nie fehlerlos werden. Weil Gott Bewahrer der Erde ist und das Werk seiner Hände nie preisgibt.
Darum können wir immer wieder neu anfangen. Jeden Morgen. Als Gottes mittelgute Außendienstler:innen. Als Kirche. Wir dürfen uns neu erfinden, Experimente machen und Fehler. Wir können um Verzeihung bitten und es beim zweiten Mal besser machen. Die Hoffnung, die wir als Aufgeweckte Gottes haben, ist auch die Erlaubnis, hier in diesem Leben unperfekt zu sein.
In diesem Glauben planen wir KIRCHEnMORGEN. Es wird unperfekt werden an Pfingsten. Es wird experimentell werden, wahrscheinlich wunderschön und fehlerhaft zugleich. Aber es wird einer dieser Morgen sein, an denen Welt und Kirche so jung, so schön und so chancenreich wirken, dass wir Menschen die Nähe der Schöpfung spüren und selbst schöpferisch werden.
Darum planen wir Werkstätten, bei denen es um uns und unser Leben geht, wie die REISE, die verschiedenen Lebensstationen nachgeht, und den COCKTAIL, wo es darum geht, wie Ihr ganz persönlicher Lebensdrink gemixt ist. Wir planen Werkstätten, bei denen es um den Umbau der Kirche geht: auf der BAUSTELLE und bei MITSPIELER:INNEN GESUCHT. Die digitale Welt erschließt sich die Kirche bei ZOCKEN FÜR JESUS. Es geht darum, sich von Ballast zu trennen bei ENTRÜMPLUNG und um neue Perspektiven bei der (IM)MOBILEN KIRCHE. Es geht um Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung im GARTEN EDEN und um Sensibilität dafür, wo Kirche rassistisch ist oder Diskriminierung Vorschub leistet bei DEAR WHITE CHURCH – DEAR COLOURFUL CHURCH. Es geht um die Balance von Gemeinschaft und Individualität im KIRCHENSCHWARM und darum, was unsere Seele nährt, am IMBISS.
Also: In den Werkstätten geht es um uns selbst und um Gott, um die Kirche und die Welt, um Gerechtigkeit und Frieden und die Bewahrung der Schöpfung und um ein gutes Leben für alle.
Überall wollen wir uns gegenseitig in Bewegung und ins Gespräch bringen. Bei KIRCHEnMORGEN gibt es kein Expertenwissen und es gibt keine großen Konzepte – da haben wir gar nichts gegen, beides hat seine Orte, wir aber wollen etwas anderes: Wir wollen die Energie und die Visionen und die Geistkraft der Gemeinde- und Stadtmenschen zusammenbringen und dadurch herauskitzeln, was wir gemeinsam hinkriegen können. Partizipativ und prozessorientiert. Mit wenig Vorgaben und so offen wie möglich. Mit möglichst vielen, die nicht schon immer dabei sind. Ehrlich gesagt, in der Vorbereitung ist das anstrengender, als wenn man ein klares Konzept hätte und das nur umsetzen müsste. Aber wir, die wir im Januar 2021 angefangen haben, KIRCHEnMORGEN zu planen, waren uns einig: Es liegt nicht auf der Hand, wo es hingeht mit der Kirche. Wir brauchen die Kraft und die Kreativität vieler, und auch ihre geistliche Vollmacht. Wir setzen auf das Priestertum aller Glaubenden. So unperfekt es auch ist.
Ich möchte den Gedanken der neuen Chancen und der Unperfektheit noch etwas weiter führen. Dass ein Projekt wie KIRCHEnMORGEN unperfekt bleibt, wird kaum jemanden stören. Aber wenn es um unser Leben geht, ist das etwas anderes.
Auch da ist es o.k., unperfekt zu sein, ja, wir wehren uns oft genug gegen unerfüllbare Ideale und Vorstellungen eines perfekten Lebens. Aber unsere Zeit tut sich schwer mit Fehlern, sie gaukelt uns die Erreichbarkeit von Perfektion vor und trägt uns Dummheiten lange nach. Selbstoptimierung ist ein ungebrochener Trend, der auch die Widersprüche von Spiritualität und Achtsamkeit noch instrumentalisiert und vereinnahmt, nach dem Motto: Meditiere, und du wirst noch besser. Als könne die Menschheit so die Unsterblichkeit gewinnen. Dabei ist eigentlich völlig klar, dass es Perfektion und Fehlerlosigkeit nicht gibt. Und wir wissen, dass wir auch persönlich von neuen Chancen leben. Darum ist es gut, wenn wir uns gegen den Sog der Zeit für Unperfektheit stark machen.
Dabei dürfen wir aber nicht naiv sein.
Denn wir wissen auch, dass es Fehler gibt, die anderen Leid zufügen, solches, das nicht wieder gutzumachen ist. Das dürfen wir nicht überspringen. Wir wissen, dass die Kirche Fehler gemacht oder zugelassen hat, die nicht wieder gut zu machen sind. Ich denke an sexuellen Missbrauch in den Kirchen und durch Kirchenleute. Ich denke an Respekt, den Kirche Andersgläubigen und Andersliebenden schuldig geblieben ist und an den Schutz, den sie ihnen verweigert hat, so dass sie verletzt oder ermordet wurden. Ich denke an die Verflechtung der Kirche in rassistische, imperiale und hegemoniale Strukturen. Und ich denke an Einzelne, die irgendwo in der Kirche an gläserne Decken stießen und noch stoßen oder gegen Betonköpfe ankämpften und noch ankämpfen und daran zerbrechen. Ich denke an die Täter:innen, und daran, ob sie zur Rechenschaft gezogen werden. Ich denke an viele von uns, die, ohne es zu wollen, als Mit-Täter:innen in die Fehler verstrickt sind und doch auch Opfer ihrer eigenen Kirche geworden sind.
Wenn wir von Unperfektheit und neuen Chancen reden, dürfen wir über diese Menschen, über Schuld und Schicksale und Strukturen nicht hinweggehen. Nicht als Personen, nicht als Kirche, nicht bei KIRCHEnMORGEN.
Und darum hängt die Rede vom Unperfektsein an der Aufgewecktheit. Dass wir aufgeweckt sind zum Glauben an die Auferweckung, ist der Grund dafür, dass Unperfektheit o.k. ist. Denn bei diesem Glauben und mit dieser Hoffnung geht es nicht in erster Linie um unsere persönliche Unsterblichkeit, sondern um Gerechtigkeit, um ein ewiges Leben, in dem verlorene Chancen wieder eröffnet werden und in dem den Opfern unserer Unperfektheit Genugtuung widerfährt. In dem ihnen wieder Zukunft geschenkt wird. In dem Gemeinschaft wieder hergestellt wird. Es geht um die Hoffnung auf Erlösung, darauf, dass Gott gut machen kann, was nicht gut ist. Auch noch nach rückwärts, in die Vergangenheit hinein. Dass Gott lebendig machen kann, was tot ist. Dass Gott heil machen kann, was zerbrochen ist.
Morgen ist auch noch ein Tag! Für alle, wirklich alle. Das ist die christliche Hoffnung über das Menschenmögliche hinaus, die radikale, unwahrscheinliche, wunderbare Hoffnung auf Erlösung. Aus dieser Hoffnung heraus dürfen wir getrost unperfekt sein. Aus dieser Hoffnung heraus verändern wir die Welt, behutsam und ohne Dominanz, aber beharrlich und barmherzig und immer mit ihr im Gespräch.
III. Pfingsten
Wir müssen es Pfingsten machen! Das war bei den ersten Planungstreffen ziemlich schnell klar: KIRCHEnMORGEN muss Pfingsten stattfinden.
Denn wir wissen: Allein aus uns, ohne die Kraft des Heiligen Geistes, ohne Gottes Geistkraft geht es nicht. Für Pfingsten verspricht Gott: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und ihr werdet meine Zeugen und Zeuginnen sein. „Ihr“ heißt hier „alle“. Verheißen ist die Ausgießung der Heiligen Geistkraft an alles Volk. Ohne das kann Kirche nicht sein – darum spricht man vom Geburtstag der Kirche zu Pfingsten.
Ohne das kann auch KIRCHEnMORGEN nicht werden. Denn durch den Heiligen Geist werden wir, die wir in den Werkstätten Kirchenbastler und Kirchenbauerinnen werden, verbunden und zur Gemeinschaft, in der sich nicht jeder und jede eine eigene Kirche nach eigenem Gusto baut. Der Heilige Geist führt uns zusammen und balanciert Individualismus und Gemeinschaft so aus, dass wir alle die eine Kirche bauen und auch alle darin unseren Platz und Ort finden. Zerreißproben gehören dazu. Manchmal muss auch eine oder einer für eine Weile gehen. Oder mal schweigen. Oder mal laut werden. Ja, Streit gehört dazu, es hilft nicht, um des lieben Friedens willen alles unter den Teppich zu kehren, was Konfliktpotential hat. Kirche ist nicht bloß harmonisch und nicht genau so, wie Sie es gern hätten. Aber sie muss auch ein bisschen so sein, wie Sie es gern hätten. Das wird sie durch die Heilige Geistkraft. Und dass sie das immer wieder werden kann, feiern wir Pfingsten.
Darum ist KIRCHEnMORGEN nicht nur das Angebot der Werkstätten. KIRCHEnMORGEN ist auch Singen, Beten und Gotteslob. Und auch Essen, Trinken, Kunstgenuss. Gemeinschaft, miteinander und mit Gott, die wir feiern. Zu der wir die einladen, die zufällig vorbeikommen. Oder die nicht werkeln wollen, aber mit dabei sein wollen. Abends wird gefeiert, gesungen, gebetet, gegessen und getrunken, erzählt, wie der Tag war und an manchen Tischen weiterdiskutiert. Wie das so ist, wenn jemand Geburtstag hat. Wie das so ist, wenn der Kirche ein neuer Morgen aufgeht.
Wir wissen auch: Allein für uns, nur um uns selbst kreisend, geht es auch nicht. Eine Kirche, die nur bei sich selbst bleibt, versteckt sich vor dem Heiligen Geist. Kirche ist mit anderen und für andere, je nachdem, sie ist mitten in der Gesellschaft und sozial und politisch engagiert. Sie ist Salz der Erde und Licht der Welt und in der säkularen Gesellschaft eine Lobbyistin der Gottoffenheit. Wie sie das ist, bestimmt sie nicht einfach allein, sie lässt es sich sagen: von den Menschen; vom Heiligen Geist; in der konkreten Situation. Auch darum musste es Pfingsten sein: Die Heilige Geistkraft führt die Kirchenleute aus den Gebäuden auf die Straßen und Plätze und lehrt sie, die verschiedenen Sprachen zu verstehen. Sie lehrt uns, zuzuhören und wahrzunehmen und einzuschätzen und dann mitanzupacken.
Ich freue mich sehr, dass KIRCHEnMORGEN in Solingen stattfindet. Weil ich mir wünsche und glaube, dass diese Stadt Kirchen hat, die ihr gut tun. Und die ihr noch mehr Gutes tun könnten. Wenn die Stadtleute und die Kirchenleute und vor allem die, die beides sind, mehr voneinander wissen, von den Wünschen, Träumen und den Sehnsüchten der anderen. Und so sehr ich mich freue, dass KIRCHEnMORGEN in Solingen stattfindet, so sehr hoffe ich auch, dass es über die Stadt hinaus ausstrahlt, in andere Städte, in andere Kirchengemeinden, in andere Kirchtümer. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass es so kommt, denn es machen ja andere Städte mit, andere Kirchenkreise und viele Einrichtungen, die alle etwas weitergeben werden von dem, was hier passieren wird. Es sind ja Geschwister aus der Ökumene dabei, der internationalen evangelischen Ökumene, wenn der Kirchenkreis Lennep eine ökumenische Delegation aus Indonesien und Ruanda einlädt, und es sind auch Geschwister der interkonfessionellen Ökumene hier in Solingen dabei, aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Und es kommen Teilnehmer:innen von nah und fern, die mitnehmen und weitergeben, was sie hier erfahren und erleben.
Ich möchte auch den Gedanken der pfingstlichen Geistbegabung noch etwas weiter führen. Denn der Heilige Geist, die heilige Geistkraft ist nicht nur das Band der Verbundenheit zwischen den Kirchenmenschen und den Kirchtümern. Sie ist auch mehr als einfach eine Verbindung zu Gott.
Die Heilige Geistkraft ist Gott-in-uns. Durch sie sind wir aufgeweckt in dem Sinne, dass wir auf die Auferweckung der Toten, aller Toten hoffen. Durch sie werden wir mit unserer Unperfektheit versöhnt. Durch sie ist Pfingsten nicht bloß ein Fest der Erinnerung, sondern Versprechen für die Zukunft: Die Kirche ist nicht allein, du bist nicht allein. Gott ist mit dir und in dir, und wenn es dir die Sprache verschlägt, lässt die Geistkraft dich die richtigen Worte finden.
So verrückt es klingt, durch die Heilige Geistkraft ist Gott in uns, und darum geschieht alles auch für uns: die Schöpfung, das Bewahrungsversprechen nach der großen Flut, der Auszug aus Ägypten und die Wanderung durch die Wüste, die Berufung Israels und die Hinzuerwählung der Völker, die Auferweckung Jesu und die Aussendung der Jünger und die Geschichte der Kirche bis heute. Alles geschieht für uns, und wir sind ein Teil davon, und alles, was wir tun, geschieht für diese Mission Gottes in der Welt, die ein Ziel hat: die Schöpfung, die Menschheit nicht allein zu lassen und sie nicht in Angst zu lassen und auch nicht in Not. Sondern sie zu versöhnen und ihr für ihr Leben die radikale Hoffnung auf Erlösung auch aus dem Tod, auch aus dem Nichts zu schenken. Und ihr zu versprechen, diese Erlösung wirklich werden zu lassen.
Die Heilige Geistkraft verwurzelt diese Hoffnung in uns. Aus ihr leben wir. Mit ihr dienen wir der Welt, als eine hörende, hoffende Kirche, aufgeweckt und unperfekt. Um dieser Hoffnung willen machen wir KIRCHEnMORGEN. Machen Sie mit!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!