Fünf Jahre Rheinischer Synodalbeschluss „Für die Begegnung mit Muslimen“

Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland hat 2018 einen wegweisenden Beschluss zum interreligiösen Dialog mit dem Islam gefasst. Trotz (vielleicht auch: wegen) seines grundsätzlichen Charakters ist der Beschluss bisher wenig bekannt und also wirksam geworden.

Mir liegt darum daran, nach fünf Jahren und in einer Zeit, in der die Debatte um Deutschland und den Islam ein wenig zur Ruhe gekommen ist, an den Beschluss zu erinnern.

In einer religiös pluralen Gesellschaft geht es zwischen den Religionen um ein friedliches Zusammenleben und um die gegenseitige Achtung der jeweiligen religiösen Praxis. Es geht aber auch darum, was die Religionsgemeinschaften theologisch voneinander halten.

Der Beschluss von 2018 und die vorangehende Diskussion zielten darum auf ein theologisch-reflektiertes Verhältnis zum Islam, eine Positionsbestimmung, die deutlich macht, was in der eigenen christlichen Tradition im Verhältnis zum Gegenüber orientiert. Damit geht der Beschluss über die bis dahin erfolgten theologischen Einzelstudien und die Appelle zur Aufnahme von Kontakt und Dialog hinaus, bleibt aber hinter einem von beiden Religionen gemeinsam formulierten Statement noch zurück. Er ist so ein Schritt auf dem Weg zu einer theologisch fundierten, gemeinsamen und gegenseitigen Verhältnisbestimmung.

Im Mittelpunkt steht die Frage danach, ob aus christlicher Erkenntnis auch die Muslime an den einen Gott glauben.

Vielen Menschen erscheint diese Frage banal, und die Antwort einfach: „Wir glauben doch eh alle an einen Gott.“ So reagieren viele im christlich-islamischen Dialog engagierte Christenmenschen und auch Muslime und Musliminnen: „Wir glauben an einen, an den einen Gott.“

Theologisch verstanden ist die Frage nach dem Glauben an den einen Gott im Islam aber überhaupt nicht banal, denn sie ist aus menschlicher Perspektive nicht zu beantworten. Christen und Christinnen können nicht sagen, ob der Gott, an den sie und die Muslime glauben, derselbe und eine ist, weil sie keine Aussage quasi „von oben“ über Gott oder auf Gottes Schulter sitzend machen können. Wir können nicht über Gott reden, sondern nur von Gott erzählen.

Christliche Theologie kann darum nur „von unten“ theologisch wahrnehmen: Christen und Muslime, und Juden, glauben ihrem Selbstverständnis nach an „den einen“ Gott.

Für eine Positionsbestimmung ist es darum erstens wichtig, die Quellen des eigenen Selbstverständnisses klar zu benennen und zweitens zu klären, ob und wie von diesen Quellen her der andere Glaube wahrzunehmen oder zu beurteilen ist.

Aus theologischer Sicht kann eine andere Religion auf zwei Weisen wahrgenommen werden: als andere Form des Glaubens an den einen Gott oder als Irrweg des Glaubens an den einen Gott. Beide Weisen haben im Christentum im Blick auf den Islam Tradition: Er wurde in der Geschichte als eigentümlich christliche Lehrvariante und als Irrweg, als Häresie wahrgenommen. Korrespondierend gab es Zeiten und Orte der friedlichen Koexistenz und gegenseitigen geistlichen und geistigen Bereicherung und Epochen der gegenseitigen Verurteilung und Bekämpfung. Beide Wahrnehmungsweisen nehmen den anderen Glauben als religiösen Glauben ernst. Das festzuhalten ist wichtig, denn in den aktuellen gesellschaftlichen Debatten wird der Islam oft nur noch als politische Ideologie und nicht mehr als vielfältige, traditionsreiche Religion angesehen. Die Bemühung, christlicherseits das Verhältnis zum Islam theologisch zu beschreiben, stellt demgegenüber vor aller inhaltlichen Bestimmung eine dezidiert respektvolle Wahrnehmung der islamischen Religion dar. Im Vorfeld der Landessynode 2018 wurde dieser interreligiöse Respekt als Naivität diskreditiert – ein Vorwurf, der m.E. nur zutreffen würde, wenn die theologische Debatte die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Fragen ersetzen sollte. Darum ging es nie und kann es nicht gehen. Umgekehrt ist aber die Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Erscheinungsbild des Islam im 21. Jahrhundert ohne die theologische Frage nicht komplett.

Der Beschluss von 2018 beginnt mit einer Einleitung, die auf mehr als vierzig Jahre christlich-islamische Dialogerfahrung verweist, für deren Fortführung wichtige Einsichten und Impulse formuliert werden.

Im ersten Punkt wird beschrieben, wie die Mitglieder der rheinischen Landessynode ihren Glauben als Bindung an Jesus Christus verstehen, die sich nicht einem eigenen Entschluss, sondern dem Wirken der Gnade Gottes verdankt. Aus dieser Erfahrung der Unverfügbarkeit des eigenen Glaubens heraus nehmen sie den Glauben muslimischen Menschen ebenfalls als Bindung an den einen Gott wahr.

Ansatzpunkt der Verhältnisbestimmung ist also das Wesen, nicht der Inhalt des Glaubens. Die langjährige Dialogerfahrung führt zu der Wahrnehmung, dass auch Muslime ihren Glauben als Wirken Gottes und nicht als eigene Entscheidung verstehen. Darum kann das theologische Gespräch bei dem jeweiligen Selbstverständnis der Gläubigen ansetzen. Von da aus sind Christentum und Islam verschiedene Formen des Glaubens an den einen Gott. Von da aus kommen dogmatische Verschiedenheiten und Unterschiede in der Deutung gemeinsamer Traditionen nicht als Maßstab der gegenseitigen Beurteilung, sondern als Ansatzpunkt des theologischen Gesprächs in den Blick. Und von da aus kann es in der Auseinandersetzung darum gehen, sich gegenseitig zu erläutern, warum man was wie versteht, und so kann der Dialog zu einem vertieften Verständnis des eigenen Glaubens führen, ohne dass Unterschiede eingeebnet oder abgeschliffen werden. Ziel des interreligiösen Gesprächs ist dann auch nicht die Konversion des oder der Anderen, sondern einander das, was wichtig ist, zu zeigen und nahe zu bringen.

Der Beschluss hat vor, während und nach der Synode zu heftigem Widerspruch geführt, einmal wegen der Frage der Selbigkeit Gottes, und dann wegen des Missionsverständnisses, das nicht auf Konversion, sondern auf Kontakt zielt. Der Widerspruch wurde von der Sorge getragen, ein solches dialogisches Christentum schaffe sich selbst ab, verwässere die Wahrheit und ebne den eigenen Glauben zu einem allgemein religiösen Gefühl ein. Darum aber ging und geht es nicht. Es geht einzig und allein darum, von unserem Glauben an Jesus Christus her im Kontext religiöser Pluralität „größer“ von Gott zu denken und Gottes Urteil nicht vorzugreifen. Darin bewährt sich ein theologisches Verständnis, das im Namen Gottes nicht verurteilt, sondern zur gegenseitigen respektvollen Liebe aufruft.

Es ist, fünf Jahre nach 2018, an der Zeit, dass Muslime und Musliminnen, Christen und Christinnen gemeinsam weiterarbeiten an einem theologischen Verhältnis beider Religionen, bei dem das jeweilige Selbstverständnis für die gegenseitige Einschätzung maßgeblich ist.

Es ist an der Zeit, gemeinsam die nächsten Schritte zu tun.

Der Beschluss der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland von 2018 im Wortlaut:

„Seit mehr als vierzig Jahren engagiert sich die Evangelische Kirche im Rheinland im Dialog mit Muslimen und Musliminnen. Zu zahlreichen Aspekten des Zusammenlebens, des Dialogs und der Theologie hat sie schon Stellung bezogen. In der Fortführung dieses Weges formulieren wir heute wichtige Einsichten und Impulse für die Weiterarbeit

1. Im Hören auf die Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments und in der Antwort ihres Glaubens weiß sich die Landessynode gebunden an das Bekenntnis zu Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes, der in der Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk steht. Diese Bindung verdankt sie dem heilvollen Wirken der Gnade Gottes. Sie nimmt den Glauben muslimischer Menschen als Bindung an den einen Gott wahr.

2. Die Landessynode sieht im jeweils eigenen Bezug von Christentum und Islam auf die biblischen Traditionen, in der Wertschätzung der Muslime und Musliminnen für Jesus als besonderen Propheten und im Leben vor Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eine Beziehung zwischen beiden Religionen begründet. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte für das theologische Gespräch, in dem sowohl Gemeinsamkeiten als auch grundlegende Differenzen offen zur Sprache kommen. Die Landessynode betont, dass die Beziehung zwischen Christentum und Islam anders ist als die wesentliche, bleibende Bezogenheit des Christentums auf das Judentum.

3. Jesus Christus selbst wendet sich unterschiedlichsten Menschen in Liebe zu und ist Christen und Christinnen darin ein Vorbild auch in der Begegnung mit Muslimen und Musliminnen. Die Landessynode ermutigt die Mitglieder der Evangelischen Kirche im Rheinland dazu, ihren eigenen Glauben im Dialog zu erklären und freimütig zur Sprache zu bringen. Der Dialog zielt auf das gegenseitige Kennenlernen, das gemeinsame Handeln, das Aushalten von Differenzen sowie eine vertiefte Wahrnehmung der je eigenen Traditionen, nicht aber auf eine Konversion zur jeweils anderen Religion.

4. Die Landessynode beschließt, den christlich-muslimischen Dialog in der Evangelischen Kirche im Rheinland zu vertiefen und auch in schwierigen Situationen daran festzuhalten. Sie hält diesen Dialog für einen kirchlichen Auftrag und ermutigt alle, die sich in Gemeinden, Kirchenkreisen und Einrichtungen in der Dialogarbeit engagieren, diese bereichernden Gespräche, Kooperationen und Modelle gemeinsamen Lebens und Arbeitens weiter zu entwickeln. Die Landessynode wendet sich gegen Ausgrenzung und Verunglimpfung von Menschen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit. In unserer säkularen und demokratischen Gesellschaft stehen Christen und Christinnen und Muslime und Musliminnen in der Verantwortung für eine positive Gestaltung des Gemeinwesens. Hierzu gehört der Einsatz gegen alle Formen von Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, religiösem Extremismus und Fundamentalismus.

5. Die Landessynode bekräftigt: Als Christen und Christinnen treten wir ein für Religionsfreiheit als ein universales Menschenrecht. Die Religionsfreiheit beinhaltet zu glauben, nicht zu glauben und seinen Glauben zu wechseln sowie ihn öffentlich zu leben und zu bekennen.

Die Landessynode begrüßt das Bestreben muslimischer Organisationen in Deutschland, ihr Verhältnis zum Staat rechtlich weiter auszugestalten. Sie befürwortet den Islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach und die Lehre Islamischer Theologie an den Universitäten. Die Evangelische Kirche im Rheinland ermutigt zu Kooperationen von Christen und Christinnen mit Muslimen und Musliminnen z.B. in der Seelsorge in Krankenhäusern, Justizvollzugsanstalten und in der Notfallseelsorge, in der diakonischen Praxis und im Bildungsbereich. Sie verstetigt die Möglichkeiten zur interkulturellen Öffnung im eigenen Arbeitsrecht.“

6. Die Landessynode bittet die Kirchenleitung, die vielfältigen Vorschläge aus den Rückmeldungen der Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Einrichtungen im Diskussionsprozess zur Weiterarbeit auszuwerten und auf der Grundlage dieses Beschlusses Vorschläge zu unterbreiten und umzusetzen, wie die Begegnung mit Muslimen und Musliminnen auf allen Ebenen der Kirche gestärkt werden kann.

(Ilka Werner, 24.12.22)